Dr. Jekyll wird zu Mr. Hyde
Eine Tierschutzorganisation hat die circa vierjährige Schäferhündin vor einem Jahr an Michael und Petra vermittelt. Worauf es sich mit Laika einließ, wusste das hundeerfahrene Paar nicht. Im Haus verhielt sich Laika ruhig, war brav und zugänglich. Doch sobald ihre Halter mit ihr das Grundstück verließen, war sie wie ausgewechselt. „Aus Dr. Jekyll wurde Mr. Hyde“, beschreibt Michael die Veränderung. Auf Umweltreize wie Autos, Lichter oder Geräusche reagierte Laika extrem erregt: Sie zog an der Leine, war nicht zu beruhigen. Schon wenn sie einen Hunderte Meter entfernten Hund sah, stieg sie auf die Hinterläufe und bellte. Stürmen 35 Kilogramm Hund los, kommt man ins Schwitzen. Michael hatte Hornhaut an den Händen und Muskelkater vom Ziehen. „Laika war daheim dann immer noch mehrere Stunden durch den Wind, es war eine Katastrophe“, erinnert sich Petra.
Aufgewachsen als Kettenhund
Laika lebte bei ihrer vorherigen Halterin an der Kette. Sie machte keine Erfahrungen mit anderen Hunden, wurde nicht sozialisiert. „Laika kannte nichts. Sie war körperlich ein XXL-Hund, aber im Kopf ein Welpe“, erzählt Petra. Sie selbst konnte die Hündin nicht halten, das Spazierengehen übernahm allein Michael. Hinzu kam, dass Laika im Dunkeln nicht raus wollte. Um ihr tagsüber Auslauf zu verschaffen, legte Michael sein Berufsleben auf Eis und blieb zu Hause. Das Paar fürchtete, es könnte etwas passieren, und das war nicht unbegründet. Auf den Gassirunden waren viele Hunde unterwegs, deren Halter sie nicht abrufen konnten oder wollten. Einen Jack Russell, der auf Laika zustürmte, biss die Hündin. So sollte es nicht weitergehen. Der Stress, den Laikas Verhalten auslöste, belastete die Beziehung ihrer Halter. Doch Laika abzugeben kam nicht in Frage. „Sie hätte keine Zukunft gehabt“, betont Petra. Knapp zwei Monate nach Laikas Einzug kontaktierte das Paar erst einen, dann einen zweiten Hundetrainer. Keine der Herangehensweisen überzeugte die beiden. Erst bei Angela Koch fühlten sich Michael und Petra gut aufgehoben. Die Inhaberin der Nürnberger Hundeschule Advo-Canis sprach Klartext: Es gäbe keine schnelle Lösung; das Training werde rund ein Jahr dauern. Seit März arbeitet Angela nun mit Laika, Michael und Petra, erst wöchentlich, mittlerweile alle zwei bis drei Wochen.
In Schrittchen zum Ziel
„Laika soll ruhig direkt an anderen Hunden vorbeigehen“, beschreibt Petra das Trainingsziel. Sie möchte auch allein mit Laika gehen können – sicher und ohne Leinengezerre. Um das Training auf die drei abzustimmen, sah sich Angela die Hündin in unterschiedlichen Situationen an. Menschen gegenüber war Laika nie aggressiv, Ressourcen wie Futter verteidigte sie nicht. Die Ursache für ihr aggressives Verhalten gegenüber Artgenossen war ein komplexer Mix aus Angst, Wut und Frust. „Aggression kann ein Werkzeug sein, um sich zu schützen und Distanz zu bekommen“, erklärt die Expertin. Ihr Plan umfasst viele kleine Schritte, die so gewählt sind, dass die Halter sie gut umsetzen und in den Alltag einbauen können. Michael und Petra sollen Laikas Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die negativen Gefühle, die Hunde in ihr her- vorrufen, in positive umwandeln. Auch Leinenführung gehört zum Training. Jede Übung steigert sich vom Einfachen zum Schwierigen. Auch die Stärke der Reize, denen Laika ausgesetzt wird, erhöht sich langsam. Um in einer reizarmen Umgebung zu üben und Laika zu desensibilisieren, fährt das Paar mit ihr zu einer Wiese. Dort konnte sie anderen Hunden in einem Abstand begegnen, bei dem sie ruhig blieb. Laika sollte die Artgenossen bewusst wahrnehmen, aber kein aggressives Verhalten zeigen. Tat sie es doch, ging es zurück ins Auto.
Leinenführtraining
Auf der Wiese darf Laika auch heute die Umgebung an der Schleppleine erkunden. Damit sie auf Spaziergängen ausgelastet wird, ohne hochzufahren, darf sie ihren Lieblingsknochen suchen, statt geworfenes Spielzeug zu apportieren. Da der Rück- ruf gut klappt, läuft Laika auch frei – sofern keine anderen Hunde in der Nähe sind. Beim Führtraining kommt die kurze Leine zum Einsatz. „Jedes Mal, wenn Laika die Leine strafft, wechselt Michael die Richtung oder bleibt stehen, bis Laika zurückgeht und die Leine lockert. Dann geht es weiter“, erklärt Angela. Michael übt auch duale Führung. Dabei ist die Leine mit je einem Ende an Halsband und Brustgeschirr eingehakt. Mit dem Teil, der am Halsband befestigt ist, macht Michael die Hündin aufmerksam und gibt vor, wohin es geht. Der Teil am Geschirr dient zum Bremsen. Michael setzt beim Üben auch seine Stimme ein: Ist Laika unaufmerksam, fordert er sie auf, sich auf ihn und die Übung zu konzentrieren. Mit „Fein“, „Gut“ oder einem Leckerli lobt er Laika, wenn sie gut mit ihm läuft. Auch ein Gefühl für Körpersprache und richtige Bewegungen sind gefragt. Dafür trainiert Michael mit Laika im Slalomkurs – und übt dabei auch seinen eigenen Körpereinsatz. „Laika soll wissen, dass Michael und Petra ihr Sicherheit geben und mit Leine und Körper die Richtung weisen“, sagt Angela. Den Slalomkurs durchlaufen Laika und Michael zunächst ohne Ablenkung. Das funktioniert ganz gut, auch wenn Laika immer mal wieder nach einer Maus schnüffelt. Michael ist mit Engelsgeduld bei der Sache. „Nur, was ohne Ablenkung funktioniert, klappt auch mit Ablenkung“, betont Angela. Laika abzulenken, war anfangs noch Aufgabe eines Stoff- Rottweilers, doch echte Hunde – Angelas Schäferhündin Cara und Golden Retriever Harris – haben den Plüschkollegen recht schnell abgelöst.
Schleifen laufen
Während Cara und Harris die Gefahr mimen, führt Michael Laika an der Leine in Bogen immer nur so nahe an die beiden heran, wie sie ruhig bleibt. Dann dreht er um und läuft weg. Das wiederholt er, bis er und Laika nach ein paar Minuten an den Hunden vorbeigehen. „Es ist wichtig, dass Michael Laika nicht in die Gefahr führt, sondern die Gefahr zu ihr kommt“, erklärt Angela. Das konditionierte Ruhewort „Ruuhig“, das Laika in schwierigen Situationen ansprechbar macht, findet auch hier Verwendung. Die Distanz zu Cara und Harris vergrößert und verringert sich immer wieder, so entspannt Laika und fährt herunter.
Ich liebe dich wie Leberwurst
Damit andere Hunde bei Laika nicht länger Aggression auslösen, soll sie diese mit einer angenehmen Erfahrung verbinden. Das nennt sich Gegenkonditionierung. Angenehm bedeutet: Leberwurst. Solange sich ein Artgenosse in der Nähe befindet, bekommt Laika von Petra die Delikatesse. Verschwindet er, gibt es auch keine Wurst mehr. So wird der einstige Aggressionsauslöser zu etwas, das ein positives Gefühl ankündigt. Die Leberwurst muss nicht für immer im Gepäck sein, aber Lob sollte es immer geben, wenn Laika sich brav gibt. Die Anforderung, die Laika erfüllen muss, um ein Lob zu bekommen, wird immer höher. „So bleibt Laika motiviert“, erklärt Angela. Bei unserem Besuch erleben wir Laika als gute Schülerin, die gern mal nach einem summenden Insekt schnappt oder versucht, eine Maus zu erwischen, aber immer ansprechbar bleibt. Ihre Reaktion auf Umweltreize ist besser geworden, aber noch gibt es Arbeit. Ihre Halter sind zuversichtlich: „Laikas Fortschritte könnten nicht besser sein“, sagt Petra stolz. Vor Kurzem sind sie und Michael mit Laika sogar hinten in einer Hundegruppe mitgelaufen und Laika ließ sich gut durch die anderen Hunde führen. Michael arbeitet mittlerweile wieder in Teilzeit. An Petras Selbstbewusstsein feilt Angela noch. Sie ist überzeugt, dass Petra ihre Hündin bereits allein führen könnte. Mit genug Zeit und Training, so glaubt Angela, werden die drei auch entspannt durch belebte Gegenden laufen können.
Der komplette Zeitschriftenartikel zum Nachlesen als PDF: derhund_10-6_fall-gelo%cc%88st
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