Das Hundeplatzphänomen

Die anderthalbjährige Schäferhund- Dame April ist beim Gassi gehen Artgenossen gegenüber auffällig aggressiv – so sehr, dass ihre Halterin oft die Straßenseite wechseln muss. Aber auch das reicht nicht immer. Sie reißt sich aus dem Geschirr und rennt über die Straße, um zum Beispiel einen kleinen Terrier und sein Frauchen anzufallen. Das ist kein Spaß mehr. Ihre Halterin kann sich das nicht wirklich erklären: „lch weiß auch nicht, warum sie sich in ihrer heimischen Umgebung so verhält, denn auf dem Hundeplatz ist sie lammfromm … “ Das bestätigt auch ihre Trainerin. In der Hundeschule sei April fleißig und konzentriert und spule ihre To-dos problemlos ab – auch in Anwesenheit anderer Hunde. Warum also unterscheidet die Hündin scheinbar ganz bewusst zwischen Hundeplatz und der Welt „da draußen“/ „Da gibt es mehrere Erklärungsansätze“, sagt Hundetrainerin Angela Koch. Für die Expertin aus Nürnberg ist das sogenannte Hundeplatzphänomen ein wohlbekanntes Problem. „Auf dem Hundeplatz wird der Hund auf das Gelernte und das Abspulen des Erlernten ortsgebunden konditioniert. Das heißt, er verknüpft die Umgebung mit dem von ihm Gewünschten. Er hat gelernt, dass er auf dem Hundeplatz immer dieselben oder ähnliche Übungen absolvieren muss. Vielleicht hat er auch gecheckt, dass sein Halter auf dem Hundeplatz immer besonders engagiert ist.“ Das sei nämlich auch ein Phänomen:

Der Halter machte sich auf dem Platz vor dem Trainer und den Mitschülern offenbar nicht blamieren. Vielleicht hat er auch eine Prüfung vor Augen, die er bestehen machte. Er ist folglich mit Eifer und Ehrgeiz bei der Sache. Und er bekommt auf dem Hundeplatz etwas ganz Wichtiges, durchgehende Hilfestellung und Anleitung von außen. Der Trainer korrigiert sofort, wenn etwas nicht läuft, und sagt dem Halter, was genau jetzt in dieser oder jener Situation zu tun ist. „Das fördert beim Hundehalter eine andere Konsequenz beim Training, die sich natürlich auch auf den Hund überträgt. Ein eifriges Herrchen findet jeder Hund toll, daher lässt er sich von dessen Eifer quasi anstecken“, führt Angela Koch weiter aus. Leider ist dieser Eifer nach Verlassen des Hundeplatzes oft schnell verflogen.

 Beziehung vor Erziehung

Die ortsgebundene Konditionierung des Hundes, gepaart mit dem Eifer des Halters, ist also ein Erklärungsansatz, ein weiterer ist: Nicht selten ist es nach Verlassen des Hundeplatzes vorbei mit jeglicher Konsequenz. „Grund dafür ist zum einen, dass dem Halter die Anleitung fehlt, und zurn anderen, dass er vielleicht nicht weiß wie er in Alltagssituationen mit dem Vierbeiner umzugehen hat. Auf dem Hundeplatz sind es nur gestellte Situationen. Hund, halten sich dort von sich aus schon anders, als sie es in ihrem Territorium machen würden“, weiß, die Trainerin. Hier kommt die Beziehung zum ins Spiel und natürlich die Erziehung. Viele Hundehalter sind wohl leider nach wie vor der Meinung, das Training auf dem Hundeplatz gleich die kommt und Erziehung des Hundes einschließl. – also gemäß dem Motto, .Ich geh auf den Hundeplatz und muss mein Hund auch funktionieren.“ Dass dem so ist so ist, kann Angela Koch versichern der Erziehung steht erst einmal die Erziehung. Vertrauen ist hier das wieder Schlagwort. Der Hund muss seinem Halter quasi blind vertrauen und wissen: Was der macht, ist gut für mich.“ Wer nicht gelernt hat. seinen Hund zu lesen, wer also über Körpersprache und Verhalten des Hundes nicht Bescheid weiß, der wird auch nicht verstehen, warum ein Hund sich wie verhält und wie man gemeinsam mit dem Hund zum gewünschten Ziel gelangt. „Für mich stimmt der Spruch, Ein dressierter Hund ist nicht unbedingt ein gut erzogener Hund“, sagt der Berliner Trainer Enrico Lombardi mit Nachdruck.

Nur weil ein Hund „Sitz“ und „Platz“ beherrscht, heißt das noch lange nicht, dass Hund und Herrchen auch im Alltag miteinander „klarkommen“ und dass der Hund „funktioniert“. „Wie auch?“, gibt der Hundetrainer zu bedenken. Sich mit dem Hund zu beschäftigen und auseinanderzusetzen, das ist für ihn der Schlüssel Was habe ich für einen Hund und was braucht er ~ vielleicht auch schon von seiner Rasse her – für Beschäftigung? „Gemeinsame positive Erlebnisse verbinden. Spielerisch kann man Vertrauen aufbauen und der Hund lernt. Mein Herrchen sorgt für mich, mit ihm habe ich eine gute Zeit. Der Hund verknüpft, dass alles Gute vom Herrchen kommt“, führt Enrico Lombardi aus. Balle apportieren lassen, Frisbee spielen, Suchspiele mit Leckerli machen, Kunststücken einstudieren, den Hund überall mit hinnehmen – das verbindet und macht Mensch und Tier Spaß. So stellt sich Vertrauen ein und wenn das besteht, lernt der Hund auch alles, was er können soll, schnell und eifrig. Denn viele Hunde haben einen ausgeprägten „Will to please“, sie wollen gefallen. Vertraut der Hund seinem Menschen und bietet dieser ihm Sicherheit. so nehmen Ängste ab und damit oft auch aggressives Verhalten.

Am Abstellen ungewünschten Verhaltens muss selbstverständlich konsequent gearbeitet werden. „Natürlich muss man in der Erziehung immer konsequent bleiben. Hunde merken schnell, ob ich etwas ernst meine oder nicht. Wenn ich das Verhalten meines Hundes ändern mochte, so muss ich dem Hund gegenüber auch stets Souveränität ausstrahlen. Die Konsequenz darf nicht mit Verlassen des Hundeplatzes enden – eigentlich darf sie das niemals. Gerade nach dem Hundeplatz wird es immens wichtig. Jeder möchte einen Hund haben, der, sicher‘ ist und keine Gefahr für andere darstellt“, sagt Angela Koch. Und sie weiß auch, dass eine gute Ausbildung nicht nur auf dem Platz stattfindet, sondern auch außerhalb – bestenfalls mit dem Trainer und anderen Hunden zusammen. Denn ein Hund erkennt sehr schnell, wenn auf dem Platz andere Regeln gelten als draußen. Er sollte jeder Situation gewachsen sein.

Den richtigen Trainer finden

Ein großer Knackpunkt ist leider oft auch beim Hundetrainer zu finden. „Viele Trainer erklären ihren Kunden überhaupt nicht, warum welche Übung gemacht wird, welchen Sinn sie hat und wie und warum sie zu Hause weitertrainiert werden sollte. Wenn der Halter nicht versteht, warum was wie zum Ziel führt und warum ein Hund wann wie reagiert, dann kann er auch nicht allein weiterarbeiten“, erklärt Angela Koch. Vom Hundetrainer Hausaufgaben und wichtige Erklärungsansätze zu bekommen, sei deshalb immens wichtig. Enrico Lombardi ergänzt: “Wichtig ist zudem, den individuell richtigen Hundetrainer zu finden. Nicht jeder Halter passt zu jedem Trainer – und umgekehrt!“ Die Einstellung zu Erziehung, Haltung und Umgang sollte weitestgehend übereinstimmen. „Erscheint dem Kunden irgendetwas nicht logisch oder stimmt er mit gewissen Erziehungskonzepten nicht überein, so bringt auch das Training nichts“, so der Experte weiter. Auch hier heißt wohl eines der Zauberwörter: Vertrauen. Aber selbstverständlich reicht das nicht aus. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – auch das stimmt. Natürlich sollte der Hundetrainer fachlich top sein – und zudem Inhalte gut vermitteln können. Denn nicht jeder, der viel Wissen besitzt, kann dieses auch verständlich weitergeben.

Ein Unterschied in punkto Ziele besteht auch zwischen Hundeschulen und Hundesportvereinen. Hundesportvereine werden oft von Freiwilligen betreut, die quasi nebenberuflich Hunde trainieren. Auf dem Hundeplatz eines Hundesportvereins geht es oft gar nicht um die Hundeerziehung, sondern um Spaß und Sport mit dem Vierbeiner. Jeder Halter sollte sich also gut überlegen, warum er mit seinem Hund auf den Hundeplatz gehen will. und sich dementsprechend die passende Anlaufstelle suchen. „Ich denke, wenn es um Erziehung geht, ist man in einer Hundeschule besser aufgehoben. Wer Sport und Spaß mit dem Hund haben mochte, für den ist sicherlich ein Verein eine gute Möglichkeit“, meint auch Enrico Lombardi.

 SO KLAPPT ES MIT DEM HUND AUCH ZU HAUSE:

  • Beziehung: Die Basis von jeglicher Arbeit mit dem Hund ist eine Beziehung, die von gegenseitigem Respekt und Partnerschaftlichkeit geprägt ist. Eine ehrliche Beziehung lasst sich nicht konditionieren – im Zweifelsfall entscheidet sie aber darüber, ob ein Hund seinem Halter „in freier Wildbahn“ folgt oder nicht. Zu einer guten Beziehung gehört auch, die Körpersprache des Hundes lesen zu können.
  • Konsequenz: Ein Hund – egal, wie gr0ß, klein, süß oder putzig er ist – muss vom ersten Tag an lernen, wer in „vermeintlichen Gefahrensituationen“ die Gefahrenabwehr und Führung übernimmt und somit für Sicherheit sorgt. Die Voraussetzung dafür ist, dass er seinem Menschen dies auch zutraut und ihm vertraut. Er muss Regeln lernen und seine (fairen) Grenzen kennen. Diese dürfen von Tag‘ an auch nicht immer wieder mal nach Lust und Laune verändert werden. Hunde merken schnell, ob man konsequent ist oder ob es vielleicht nicht doch ein Schlupfloch gibt je sprunghafter der Mensch ist, umso unsicherer wird der Hund in seinem Verhalten. Der Halter muss ruhig, aber bestimmt bleiben. Für einen Hund ist aggressives laut es Verhalten respektlos und führt zu gar nichts. Konsequenz ist anstrengend, aber sie lohnt sich.
  • Durchhalten: Alles, was der Halter in einer guten Hundeschule lernt und erklärt bekommt, muss er zu Hause weiterüben. Viele Halter konzentrieren sich nur von einem Sonntag auf den nächsten und den Rest der Woche darf der Hund beim Spazierengehen machen, was er mochte. Das ist gänzlich kontraproduktiv!
  • Individualität: Jeder Hund ist anders. Der eine lernt schneller, der andere braucht etwas langer. Und während sich manche Rassen oder Mixe gelassen zeigen, sind andere richtige Raudis. Deshalb gilt: In der Erziehung der Hunde kann und darf es keine Schablonen geben. Entsprechend sollten Hundetrainer jeden Hund als Individuum betrachten und auch das Hund/Halter-Gespann individuell analysieren.

 

Hier als PDF ansehen: DH_6-16_Wenns-nur-auf-dem-Platz-klappt